Stilkunde – Jugendstil (Teil 2)

Kunsthandel Helmrich, Stilkunde, verfasst am 29.11.2010

Ende des Jugendstils 

Ein klares Ende des Jugendstils in den Wirren der Jahre bis zum und im Weltkrieg zu setzen, ist schlecht möglich. Es ist zu vergegenwärtigen, dass jede Stilbezeichnung eine sehr verallgemeinernde und zugleich abstrahierende Betrachtungsweise oftmals divergierender Zeitströmungen, rivalisierender und parallel laufender künstlerischer Trends verschiedener Sparten der Kunst darstellt und sich stets die Frage aufwirft, was und wer mit dem Begriff eingeschlossen werden soll, und was und wer außerhalb zu betrachten ist.

Das Einsetzen des allmählichen Endes des Jugendstils in Deutschland kann man auf die große Dresdner Kunstgewerbeausstellung 1906 datieren. In deren unmittelbarer Folge wird 1907 der Deutsche Werkbund gegründet, unter Beteiligung oder späterer Mitwirkung einer Reihe von mit dem Jugendstil bekannt gewordenen Künstlern (wie van de Velde, Behrens, Niemeyer, Endell, Obrist), der nunmehr – insbesondere unter seinem Vorsitzenden Hermann Muthesius – die Sachlichkeit, Schlichtheit und Gediegenheit zu neuen Leitbildern erhebt.

Für die Zeit zwischen 1906 und 1914 hat sich in der kunstgeschichtlichen Literatur keine allgemein gebräuchliche Stilbezeichnung etabliert, vorgeschlagene Begriffe wie beispielsweise „Reformarchitektur“ bzw. „Reformstil“ (im diffusen Kontext der allgemeinen Lebensreform), „Halbzeit der Moderne“ (nach der gleichnamigen Ausstellung 1991 in Münster) oder „Prämoderne“ haben sich bislang nicht durchsetzen können. Etwa um 1914 liegen in Deutschland (in Wien etwas früher) die Anfänge des Expressionismus, der nur in vereinfachender geschichtlicher Darstellung als Ablösung des Jugendstils präsentiert wird. Der Jugendstil hält sich etwa bei Interieurmalerei, Möbeln, anderen Gebrauchsgegenständen und kunstgewerblichen Produkten noch bis in die mittleren 1920er Jahre, indem er die Formensprache beibehält, aber in der Farbgebung auf den Expressionismus der Malerei reagiert.

Stilkunde – Gründerzeit

Kunsthandel Helmrich, Stilkunde, verfasst am 29.11.2010

Als Gründerzeit wird die wirtschaftliche Phase in Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert bis zum großen Börsenkrach von 1873 bezeichnet. In dieser Zeit findet die Industrialisierung in Mitteleuropa statt, deren Anfänge in den 1840er-Jahren liegen. Daraus ergibt sich, dass für diese Periode kein genauer Anfangszeitpunkt angegeben werden kann. In den letzten Jahren vor dem großen Krach allerdings (in Deutschland nach dem gewonnenen Krieg von 1870/1871, in dessen Gefolge massenhaft französisches Kapital vor allem aus Reparationen ins Land strömte) gipfelte der wirtschaftliche Aufschwung dieser Periode in einem vorher nicht gekannten Boom, diese letzten Jahre gelten als Gründerjahre im engeren Sinne.

Die Gründerzeit fällt in die Epoche in Mitteleuropa, in der das Bürgertum die kulturelle Führung übernahm. Daher ist sie auch die große Zeit des klassischen Liberalismus, auch wenn dessen politische Forderungen nur teilweise und relativ am Ende dieses Zeitraumes umgesetzt wurden.

Die Industrialisierung stellte auch ästhetisch neue Aufgaben, vor allem in der Architektur und im Kunsthandwerk. Dies drückte sich allerdings in einer eklektizistischen Weiterentwicklung vorhandener Formen aus. In der Umgangssprache ist mit Gründerzeitstil daher der Historismus gemeint. Da der Historismus aber bis nach 1900 der vorherrschende Stil blieb, ergibt sich daraus eine gewisse Unschärfe des umgangssprachlichen Gebrauchs. In stilgeschichtlichen Zusammenhängen wird daher oft auch von späteren Jahrzehnten als „Gründerzeit“ gesprochen.

Mit Gründerzeit werden daher manchmal sehr unterschiedliche Zeiträume bezeichnet, beispielsweise 1850–1873, 1871–1890, manchmal sogar 1850–1914 oder überhaupt nur die Jahre 1871–1873. Zeitgenössisch ist dieser Ausdruck aber nur für die Zeit um 1870 und ausschließlich im Zusammenhang mit dem damaligen Wirtschaftsaufschwung.

Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew beschreibt den Wirtschaftsaufschwung dieser Periode als die aufsteigende Phase des zweiten Kondratjew-Zyklus.

Wirtschaft

Der Ausdruck „Gründerzeit“ bezieht sich auf den umfassenden wirtschaftlichen Aufschwung der Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem Unternehmensgründer scheinbar über Nacht reich werden konnten. Ein entscheidender Faktor für die rasante Wirtschaftsentwicklung war der Eisenbahnbau. Typische „Gründer“ sind daher Eisenbahnpioniere wie Bethel Henry Strousberg. Die Eisenbahn hatte auch eine bedeutende Impulswirkung auf andere Industriezweige, etwa durch die gestiegene Nachfrage nach Kohle und Stahl, so dass auch in diesen Bereichen Industrieimperien, wie etwa das von Friedrich Krupp, gegründet wurden. Vor allem aber wurden Kommunikation und Migration enorm erleichtert. Massenhaft wanderten ländliche Unterschichten in die Städte ab, wo sie zum Bestandteil des sich formierenden Proletariats wurden – damals entstand auch die soziale Frage (zeitgenössisch auch Pauperismus genannt).

Mit der Eisenbahn wurde aber auch das Distributionswesen revolutioniert, so dass auch außerhalb des industriellen Sektors Massenproduktion möglich wurde. Zu bedeutenden Unternehmensgründern (von Lebensmittelkonzernen) wurden beispielsweise der Bierbrauer Ignaz Mautner und der Kaffeeröster Julius Meinl I..

Überdurchschnittlich war der Anteil von Personen jüdischen Glaubens an den „Gründern“, die ihre nunmehrige Emanzipation und sozialen Aufstiegschancen zu nutzen wussten – in diesem Zusammenhang ist auch das Bankhaus Rothschild zu nennen, das als Financier des Eisenbahnbaus erhebliche Bedeutung hatte.

Dieser Aufschwung erlebte im großen Börsenkrach (Gründerkrach) 1873 ein jähes Ende, und ging in die etwa zwanzigjährige wirtschaftliche Stagnationsphase über, die als Gründerkrise bekannt ist.

In dieser nachfolgenden Krise verlor die Theorie des Wirtschaftsliberalismus an Boden und es wurden auch in der Praxis Kontrollmechanismen geschaffen und Schutzzölle eingeführt. Die in dieser Krisenperiode entstehenden kleinbürgerlichen und proletarischen Massenbewegungen waren erklärte Gegner des Wirtschaftsliberalismus.

Die verheerendste Folge des großen Krachs war psychologisch. Das Versprechen von Reichtum und Aufstieg für alle schien vorerst gescheitert, in Kreisen kleiner Handwerker und Geschäftsleute stand nunmehr die Angst vor dem sozialen Abstieg durch die industrielle Konkurrenz im Vordergrund, außerdem war durch den Krach auch massiv erspartes Kapital verloren gegangen. In diesen kleinbürgerlichen Kreisen verbreiteten sich rasch allerlei Verschwörungstheorien – insbesondere der Antisemitismus gewann massiv an Boden und wurde in den 1880er-Jahren zu einer breiten politischen Unterströmung.